Psychologin, Coach, (ehemals) Personalvorstand, Change-Managerin, Betriebswirtin, Wissenschaftlerin und Dozentin – und aus Veränderung wird Energie
18. September 2019

Wie gelingt Personalentwicklung (im Gesundheitssektor)?

Lesedauer ca. 7 Minuten

Hallo,

schön, dass Du hier bist. Im folgenden möchte ich einige meiner Erfahrungen aus meiner langjährigen Leitung des Bereichs Personal teilen. Es geht um das Thema, wie man Mitarbeiter*innen weiterentwickelt. Oder besser gesagt, was mir dabei als Lessons Learned aufgefallen ist. Also mein persönliches Resümée. Vielleicht kennst Du davon einiges. Vielleicht hast Du ganz andere Erfahrungen gemacht. Ich freue mich auf Rückmeldungen, eigene Erfahrungen in dem Bereich, Denkanstöße…

Was gehört zu den Do‘s & Don‘ts bei der Einführung von Nachfolge- und Nachwuchsentwicklungsinstrumenten in einem mittelständischen Klinikkonzern? Ein Erfahrungsbericht aus einem inhabergeführten Klinikkonzern mit 45 Standorten in 11 Bundesländern zur Behandlung psychosomatischer Erkrankungen und Abhängigkeitserkrankter mit knapp 2.700 Beschäftigten.

Vielen Einrichtungen im Gesundheitswesen fehlt es nach wie vor an einem tragfähigen Talentmanagement. Gleichzeitig stehen viele Kliniken, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen vor der enormen Herausforderung einer zukünftig adäquaten Personalbesetzung. Aufgrund der allgemeinen demographischen Entwicklung der alternden Gesellschaft wird es vermehrt ältere und mehrfach erkrankte und somit pflegeintensivere Patienten geben, die ihrerseits von immer mehr älteren Mitarbeitern behandelt und versorgt werden müssen.

Darüber hinaus ist eine wertschätzende Führung bzw. Unternehmenskultur aufgrund der sehr hohen Anforderungen an die Berufsgruppen (Ärzte, Therapeuten, Pfleger) besonders wichtig und wird von den Mitarbeitern auch stark eingefordert.

Zudem fordern insbesondere junge Mitarbeiter eine Unternehmenskultur in der Mitsprache, Aufmerksamkeit, Feedback und Weiterentwicklung / Weiterbildung wichtige Grundpfeiler der Zusammenarbeit darstellen. Diese neue Führungskultur junger Führungskräfte (FK) muss im Einklang mit dem Führungsverständnis älterer FK implementiert werden. Einige Beschäftigtengruppen sind darüber hinaus oft wenig mobil, was die Einbindung in Entwicklungsprogramme zusätzlich erschwert. Weiterhin führt der steigende Kostendruck im Gesundheitswesen häufig zu geringen HR-Budgets und zu immer mehr Zusammenschlüssen einzelner Unternehmen und Kliniken, was abteilungs- und standortübergreifende strukturierte oder standardisierte Lösungen erfordert.

Damit nicht genug. Der Wunsch nach Weiterbildung und Weiterentwicklung findet vor dem Hintergrund teilweise extrem kurzer Betriebszugehörigkeit junger Mitarbeiter statt. Die unter 30-Jährigen verbleiben teilweise durchschnittlich weniger als 24 im Unternehmen.

Unsere leitenden Mitarbeiter sollten daher nicht alleine gelassen werden beim Thema strategisches Talentmanagement, sondern gemeinsam mit HR tragfähige Lösungen erarbeiten.

Hier ein Auszug aus den Lessons learned: (Handlungsempfehlungen für den HR’ler, die sich aus den konkreten Umsetzungserfahrungen ableiten lassen)

  1. Die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeitern als Teil der eigenen Führungsleistung

Klingt sehr banal. Ich weiß. Aber es zeigte sich vor der Einführung von Nachfolge- und Nachwuchsprogrammen, dass Vorgesetzte den Entwicklungsprozess der Nachfolger teilweise nicht genügend unterstützten. Einzelne Führungskräfte förderten exzellent, andere gar nicht. Entscheidend war oft die persönliche Einstellung und das Verhalten bzw. die Haltung des eigenen Vorgesetzten. Forderte dieser die Weiterentwicklung von Mitarbeitern ein, wurde dies auch stärker als Teil der eigenen Führungsaufgabe begriffen. Weiterhin gab es keine Anreize einen guten MA zentral, d.h. auch für etwaige attraktive Vakanzen an anderen Stellen innerhalb des Konzerns, zu empfehlen und somit ggf. für die eigene Abteilung / Betriebsstätte zu verlieren. Daher wurde die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeitern als Teil der eigenen Führungsleistung im Jahresgespräch / in der Zielvereinbarung explizit bewertet.

2. Zentrale Koordination von Weiterentwicklungswünschen und Nachfolgeplanung

Es gab interindividuelle Unterschiede in der Durchführung und der Bewertung der Wichtigkeit von Mitarbeiterförderung sowie im Selbstbild bzw. der Selbstreflektion der Vorgesetzten („Ich bin per se der beste Beurteiler meiner Mitarbeiter!“ Aufgrund welcher Expertise und welcher Beurteilungskriterien eigentlich?). Der/die VG gaben vor der Einführung der systematischen Nachfolgeplanung an, auch ohne Prozess sehr genau zu wissen, was die eigenen Mitarbeiter wollen. Fördergespräche kamen insbesondere bei Mitarbeitern mit langer Betriebszugehörigkeit oft gar nicht vor (Bsp.: „Wir kennen uns seit 20 Jahren, da kann man keine Jahresgespräche führen, das wäre künstlich“, „Wir sind täglich im Gespräch und nicht nur einmal im Jahr, wir wissen auch ohne strukturierte Gespräche, was der andere denkt und erwartet“, „Bei älteren Mitarbeitern geht es ja nicht mehr um Personalentwicklung“). Diese frühere, unstrukturierte Rückmeldung der VG zu möglichen Weiterentwicklungswünschen engagierter Mitarbeiter, stellten sich im Nachhinein als nicht richtig heraus.

3. Schaffung alternativer Einsatzmöglichkeiten

Ein zentraler Erfolgsfaktor war darüber hinaus, dass die Unternehmensleitung bereit war, (übergangsweise) alternative Einsatzmöglichkeiten zu schaffen. Jedoch muss den teilnehmenden Kandidaten bereits vor Beginn von Fördermaßnahmen klar kommuniziert werden, dass die Teilnahme kein Fahrstuhl ist – also nicht in jedem Fall zu einer Beförderung o.ä. führt, damit keine demotivierende Haltung („Mir wurde viel versprochen und nun kommt alles anders“) eingenommen wird.

4. Schulung der Linienvorgesetzten im Umgang mit Prozess und Formaten (auch Unternehmensleitung!).

Nicht stringent durchgeführte Prozesse waren oft das Ergebnis eigener Unsicherheit der oberen Führungskräfte in der Betriebsstätte im Umgang mit dem Material. Dies stellte sich im medizinisch-therapeutischen Bereich als ein Hauptkriterium für Erfolg oder Misserfolg heraus. Da diese Berufsgruppen selbst tagtäglich Verhaltensänderungen bei ihren Patienten/Klienten initiieren und viele Methoden verwenden, die sich heutzutage auch im Coaching wiederfinden, herrschte bei vielen die Meinung „ich kenne all diese Instrumente und kann mit ihnen umgehen“. Dies stellte sich als unzutreffende Beschreibung heraus. Sehr viele der medizinisch-therapeutisch tätigen FK hatten ihrerseits keine systematische und professionelle Einarbeitung in ihre Führungsrolle erlebt und kannten viele gängige Personalmanagementkonzepte nur sehr oberflächlich.

  • Alle obersten Führungskräfte wurden im Rahmen von Workshops zentral befähigt, die Nachfolgeplanung inklusive aller Instrumente wirksam zu nutzen.
  • Ihre Praxiserfahrung floss in die Weiterentwicklung der Instrumente ein.

5. Karrierepfade nicht nur top-down kommunizieren und nicht ausschließlich in der Verantwortung der FK belassen

Vielfach waren die Vorgesetzten der Ansicht, ihre Mitarbeiter ausreichend informiert zu haben, während diese äußerten, bisher nichts über Karrierewege im Unternehmen gehört zu haben. Die empfundene mangelnde Transparenz über Karrierewege war ein häufig geäußerter Grund für Unzufriedenheit in Exit-Interviews (unternehmensübergreifend und nicht nur bezogen auf die Nachfolgeplanung).

6. Angemessene Übergabezeiten

Es sollte keine zu langen Übergabezeiten zwischen altem und neuem Stelleninhaber  vereinbart werden. Es gab verschiedene Konstellationen im Unternehmen. Diese reichten von keiner zeitlichen Überschneidung von altem und neuem Stelleninhaber bis hin zu systematischen Aufbauprogrammen, die ein Jahr dauerten, in denen der Nachfolger neben dem noch amtierenden Stelleninhaber tätig war. Die letztgenannte Variante führte häufig zu Kompetenzgerangel zwischen altem und neuem Stelleninhaber bis hin zur Kündigung des neuen Stelleninhabers.

7. Status quo kritisch hinterfragen

Es gilt bisherige Erfahrungswerte und eingefahrene Routinen kritisch zu hinterfragen. O-Ton Standortleitung: „Machen wir vor Ort bereits seit Jahren. Wir brauchen da nichts Zentrales.“ Aus Sicht von HR erwiesen sich derartige Äußerungen vielfach als falsche Behauptungen.

 

Trotzdem blieben folgende Herausforderungen bestehen:

  • Teilweise wiesen die Entwicklungskandidaten eine geringe Kompromissbereitschaft für eine abweichende (Zwischen-)Station auf, falls die Zielposition (noch) nicht unmittelbar frei wurde.
  • Teilweise bauten die Kandidaten eine sehr große Erwartungshaltung auf, und wenn dann in der veranschlagten Zeit kein Aufstieg in die Zielposition erfolgte, war die Frustration teilweise sehr groß. Das spricht aber gerade für und nicht gegen PE. Der Umgang mit der Nivellierung der Ansprüche von Mitarbeitern ist einen eigenen Blogeintrag wert…

Dies zeigt, dass die Bewertung von Veränderungen in komplexen sozialen Systemen keine rein numerische Beurteilung sein darf / sollte.

Hast Du Lust auf weitern Austausch oder möchtest Du meine Expertise nutzen und in Gesprächen vertiefen oder einen Check-up inklusive Verbesserungsvorschlägen zur eigenen Personalentwicklung, dann freue ich mich auf Deine Nachricht Termin & Angebot.